„Armut ist weiblich“
Hilfsangebote für wohnungslose Frauen sind Diskussionsstoff im Tollhaus
BNN - Eine Dusche und Essen, ohne betteln zu müssen. Den schweren Koffer sicher abstellen, ohne das letzte Geld ins Schließfach zu stecken. Eine Adresse für die Post. Ruhe, keine Schläge, sich nicht verkriechen müssen. Was Frauen brauchen, die ihre Wohnung verloren haben, erlebt die Leiterin des Tagestreffs für Frauen (Taff) in der Belfortstraße, Lissi Hohnerlein, unmittelbar. Am Dienstag diskutiert sie mit Expertinnen aus Hamburg und Düsseldorf, Karlsruhes Sozialbürgermeister Martin Lenz sowie der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Annette Niesyto, im Kulturzentrum Tollhaus über Frauenarmut, gezielte Hilfen, Sozial- und Wohnungspolitik.
Wohnungslose Frauen seien auf der Straße meist „nicht sichtbar“, sagt Hohnerlein vom Verein Sozialpädagogische Alternativen (Sozpädal) Karlsruhe. „Sie suchen aus Scham und Schuldgefühlen private Lösungen, die sie oft in neue Abhängigkeiten führen.“ Sie tauche bei Verwandten oder Bekannten unter, kehre ins Elternhaus zurück oder hangele sich durch – in provisorischen, unsicheren Verhältnissen.
Kein Geld, keine Wohnung: Diese Kombination wird häufiger in einer Gesellschaft, in der vorrangig Frauen Kinder erziehen und Angehörige pflegen, dafür im Beruf Auszeiten nehmen, in Teilzeit oder nur geringfügig für Lohn oder Gehalt arbeiten. Das geschlechtsspezifische Risiko fassen Experten in einem prägnanten Satz: „Armut ist weiblich.“
Kontinuierlich steigt laut Sozpädal auch die Zahl wohnungsloser Mütter oder Elternpaare in Karlsruhe. Bis 2010 habe die Stadt jährlich rund 15 Erwachsenen mit Kindern eine Unterkunft besorgt, für je maximal vier Monate. Inzwischen seien pro Jahr rund 50 Familien zu versorgen, bei Unterbringungszeiten bis zu neun Monaten.
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg kritisiert, die Angebote für wohnungslose Frauen deckten den wachsenden Bedarf nicht. Die Zahl der landesweit im Hilfesystem gezählten Frauen wuchs der Liga zufolge von 2014 bis 2015 um 6,7 Prozent auf 3 133 Betroffene. Im Vergleich zu 2006 betrage die Steigerung gar 63 Prozent. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe fordert eine Wohnungsnotfallstatistik. Es fehlten aussagekräftige Zahlen und die Überschaubarkeit.
Die Fächerstadt spielt in dieser Hinsicht eine positive Sonderrolle, sagt Hohnerlein. Karlsruhe habe früh die Bedürfnisse wohnungsloser Frauen erkannt und mit einem angepassten Hilfesystem reagiert. Nun sei es wichtig, trotz Sparzwängen die Angebote und den freien Zugang zu ihnen für Betroffene zu erhalten. Zudem sei der Blick über die Stadtgrenzen hinaus bitter nötig, sagt Hohnerlein: „Für Frauen, die nicht in eine Gemeinschaftsunterkunft gehen wollen, bietet der Landkreis Karlsruhe nichts.“
Für Interessierte offen ist der Fachtag „Frauen in Armut und Wohnungsnot“ am Dienstag, 14 bis 18 Uhr, Kulturzentrum Tollhaus, Alter Schlachthof 35.
Kirsten Etzold - Badische Neueste Nachrichten | Karlsruhe | 26.02.2016