„Hier tun sie etwas für ihre Seele“

Kunstprojekt mit Frauen vom Tagestreff (TafF)

BNN 02.02.2018 - Patrizia Kaluzny

„Ich kann doch gar nicht zeichnen!“ Ein Funkeln blitzt in Silvias Augen auf, ein Lächeln legt sich über ihr Gesicht. „Ich kann doch gar nicht zeichnen!“ Wie ein Mantra wiederholt sie den Satz und schüttelt dabei jedes Mal fast unmerklich den Kopf. Sie kann es selbst nicht glauben, was sie in den vergangenen Wochen geschaffen hat. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas kann!“ Silvia hat Spuren hinterlassen. Sie hat andere Frauen portraitiert, sie hat fotografiert und an einer Installation mitgearbeitet. An diesem Vormittag hat sie auch noch eine lithografische Druckplatte mit verschiedenen Motiven versehen. Sie presste ihre eingefetteten Hände auf die Steinplatte und verzierte sie mit Fantasiemustern. Neben ihr hat eine andere Frau ihr Ohr auf die Druckplatte gepresst. Noch eine andere ihr Gesicht auf dem kühlen Solnhofener Kalkstein als Abdruck hinterlassen.

Vor einem halben Jahr konnte sich Silvia gar nicht wirklich vorstellen, was hinter den Türen der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste passiert. Heute bewegt sie sich so selbstverständlich durch die Werkstatt für Lithografie, als hätte sie nie etwas anderes getan. Doch der wahre Alltag von Silvia und den anderen Frauen ist von der Kunstakademie meilenweit entfernt, er spielt sich vor allem im Tagestreff für Frauen (TafF) der Sozialpädagogischen Alternativen (Sozpädal) und auch auf der Straße ab.

Seit dem Semesterbeginn treffen sie sich jeden Mittwoch – die Frauen aus dem Tagestreff und die Frauen von der Kunstakademie, die freie Kunst und Kunsterziehung für das Lehramt studieren. Initiiert hat das inklusive Kunstprojekt Christina Griebel. Die Schriftstellerin und bildende Künstlerin ist seit 2015 Professorin für Kunstdidaktik und Bildungswissenschaften an der Kunstakademie Karlsruhe. Bei Lissi Hohnerlein, Sozialarbeiterin und Leiterin des Bereichs Frauen bei Sozpädal, fand die Kunstprofessorin sofort Zustimmung.

„Hier lernen sich Frauen aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten kennen. Die TafF-Frauen haben ganz andere Sorgen. Sie wohnen in Hotels, Pensionen, bei Bekannten, auf der Straße, im Auto... an den unglaublichsten Orten“, sagt Christina Griebel. „Und nun kommen sie einmal in der Woche hierher und können für zwei Stunden all das Wirkliche vergessen und Dinge tun, von denen sie nicht wussten, dass sie das können.“ „Wenn ich Kunst mache, bin ich ganz bei mir“ – ein Satz, der bei Christina Griebel Freude auslöst. Geäußert hat ihn eine der TafT-Frauen.

Lissi Hohnerlein betont, dass dieses Projekt keinen pädagogischen oder therapeutischen Ansatz verfolgt, bei dem ein bestimmtes Ziel vorgegeben ist. „In ihrem Alltag müssen diese Frauen funktionieren: Sie müssen sich einen Schlafplatz organisieren, Anträge stellen, sich kümmern, dass sie Geld vom Amt bekommen ... Hier können sie aber etwas für ihre Seele tun“, so die TafT-Leiterin. „Es geht nicht darum, das Geschehene, das Erlebte oder eine Trauer zu verarbeiten. Es geht um das ins Tun kommen. Im Tun die Selbstwirksamkeit zu entdecken, Dinge in einem anderen Licht betrachten“, bekräftigt die Kunstprofessorin.

Für die Kunstneulinge gibt es keine Vorgaben. Sie sind frei in ihrem künstlerischen Tun. Die Studentinnen, die später einmal selbst vor einer Schulklasse stehen werden, übernehmen zwar bei dem Projekt Regie, doch sie leiten nur an, beobachten was passiert. Darauf basiere dann das weitere Handeln, so Griebel. „Die Studierenden sollen lernen, sich als Lehrende zurückzunehmen, sollen sich die passenden Methoden überlegen, wie sie den Frauen etwas nahe bringen, ohne ihnen etwas drüber zu stülpen“, schildert sie. Die Frauen fühlten sich respektiert und ernst genommen.

Die Kunststudentinnen und die TafF-Frauen – in dem Projekt arbeiten sie auf Augenhöhe. Das spiegelt sich sogar in einigen der Arbeiten wider: „Da fragt man sich, ist das jetzt von der Kunststudentin oder von der Frau auf der Straße“, sagt Griebel. Eine der teilnehmenden Kunststudentinnen ist Isabell Kaczmarek. „Das Projekt gefällt mir richtig gut und ich hoffe, dass es weiter geht“, sagt die 25-Jährige, die freie Kunst im fünften Semester studiert. Die Frauen hätten viel Herzwärme und dass sie nicht zeichnen könnten – das stimme gar nicht. „Wir saßen uns gegenüber und haben uns gegenseitig portraitiert, und dabei den Stift über das Blatt geführt, ohne hinzuschauen“, erzählt Kaczmarek. Und wenn sie miteinander sprechen, gehe es nicht um die so weit voneinander entfernten Lebenswelten der Frauen, so die Studentin. „Es geht nur um die Kunst“.

 

Kunstprojekt
Foto: jodo

MIT EINER LEDERWALZE bearbeitet Lukas Giesler, Leiter der Werkstatt für Lithografie“ einen von den Frauen bearbeiteten Lithografiestein. Links im Bild: Kunstprofessorin Christina Griebel, die das Inklusionsprojekt initiiert hat.

Kunstprojekt
Foto: jodo

BLEIBENDE SPUREN hinterlässt eine der teilnehmenden TafF-Frauen. Im Hintergrund arbeitet Studentin Isabell Kaczmarek an der Offsetdruckmaschine.

Fotos: jodo

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