Hilfe für Kinder in der Klemme
Kirsten Etzold - BNN 24.10.2019
Erwachsen werden heißt auch, herauszufinden, worauf es ankommt. Etwa, dass es wichtig ist, pünktlich Miete zu zahlen. Die meisten jungen Menschen wachsen mit den Eltern in die Welt hinein. Bei Krankheit, Trennung und anderen familiären Problemen kann das anders sein. Stecken Kinder und Jugendliche in der Klemme, soll Kinder- und Jugendhilfe sie und ihre Familien unterstützen. Jetzt soll das System verbessert werden. (Siehe auch Hintergrund.)
In Karlsruhe warten die Akteure ungeduldig auf die Reform, obwohl manches bundesweit angestrebte Ziel vor Ort schon Realität ist. Neue Bestimmungen sichern zum Beispiel die Finanzierung. Worauf es besonders ankommt, diskutierten am Mittwoch beim Verein Sozialpädagogische Alternativen (Sozpädal) am Werderplatz Pädagogen, Sozialarbeiter, Vertreter von Behindertenverbänden und andere Fachleute aus Karlsruhe und der Region.
Abends und nachts daheim, tagsüber in der Schule und in Einrichtungen der Jugendhilfe sind in Karlsruhe etwas weniger junge Menschen als Gleichaltrige, die in einem Heim oder einer betreuten Wohngemeinschaft leben.
Als Durchbruch und „Riesenchance“ sähen es die Sozialexperten, wenn die Jugendhilfe auch für junge Leute mit Behinderungen zuständig würde. Ist ein Kind behindert, kann das Eltern auch bei der Erziehung überfordern. Noch müssen sie sich durch viele Anträge kämpfen. Das ist auch in Karlsruhe so. Immerhin sind ihre Angelegenheiten im Rathaus West in der Sozial- und Jugendbehörde gebündelt. Viele andere Städte trennen das organisatorisch.
Eine weitere Hürde, die in der Kinder- und Jugendhilfe fallen soll, ist der 18. Geburtstag. Er beendet oft Unterstützungsmaßnahmen. „In Deutschland lösen sich junge Erwachsene meist mit 24 oder 25 Jahren von Zuhause. Ausgerechnet nach extrem schwierigen Jugendjahren soll dann aber jemand mit 18 Jahren voll erwachsen sein“, kritisiert Sozpädal-Geschäftsführer Jörg Mauter. Die Situation in Karlsruhe sei da günstiger, sagen Mauter und die Chefin der Sozial- und Jugendbehörde, Karina Langeneckert. Junge Erwachsene würden in der Phase nicht in andere Hilfesysteme gedrängt.
Man spüre auch im Gemeinderat das jahrzehntelange Ringen um den Ausbau sozialer Hilfen, so Langeneckert: „Da will keiner von dem erreichten Niveau herunter.“ Der Verein Sozpädal war vor 40 Jahren bundesweit ein Vorreiter in individueller Hilfe: mit betreutem, eigenständigem Wohnen für Mädchen.
HINTERGRUND
Kinder- und Jugendhilfe hat viele Formen. Sie umfasst Kindertagesstätten und Freizeitangebote, aber auch Erziehungsberatung, ambulante und stationäre Hilfen. Die Regierungskoalition will in der laufenden Legislaturperiode, die planmäßig bis 2021 läuft, die Kinder- und Jugendhilfe reformieren.
Vorrangige Ziele sind:
- Kinder besser zu schützen
- Übergänge zwischen Leistungssystemen besser zu gestalten
- Kinder und Jugendliche bei Bedarf besser unterzubringen
- Pflegeeltern besser zu qualifizieren und zu unterstützen
- Familien, deren Kinder nicht zuhause leben, stärker zu fördern.
Unstrittig ist unter den Beteiligten, dass die Reform allen Heranwachsenden, ob mit oder ohne Behinderung, Anspruch auf alle Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe bringen soll. Bisher ist das nicht der Fall. Eltern behinderter Kinder müssen daher zum Beispiel für manches Eigenbeiträge zahlen.
Angestrebt ist unter anderem auch, dass sich Betroffene künftig auf einen Ansprechpartner stützen können. Bisher haben sie es mit vielen verschiedenen Behörden und Anträgen zu tun.
Den Beteiligungsprozess zur Modernisierung der Kinder- und Jugendhilfe dokumentiert das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend unter www.mitreden-mitgestalten.de im Internet. ke