Wohnraum ist keine Ware
Sozpädal unterstützt Obdachlose bei der Suche nach einer bezahlbaren Bleibe
BNN 24.10.2018 - Nina Setzler
Albert Müller (Name geändert) lebte fast ein Jahr lang in einem Männerwohnheim in Karlsruhe: „Das war eine schlimme Erfahrung, diese Unterkünfte für Obdachlose sind soziale Brennpunkte. Als ich eines Abends in mein Zimmer lief, schubste mich ein angetrunkener Mitbewohner ohne ersichtlichen Grund die Treppe runter – dabei brach ich mir den Oberschenkel.“
Aggressivität und Gewalt sind aufgrund der Enge und Probleme vieler Bewohner an der Tagesordnung, weiß auch Jörg Mauter vom Wohnungslosen-Hilfeverein Sozialpädagogische Alternativen (Sozpädal): „Je schneller sie aus den Heimen rauskommen, desto besser.“ Seine Organisation vermittelt Wohnraum an obdachlose Menschen, die auf dem freien Wohnungsmarkt keine Chance haben. „Sie sind nicht solvent und stehen in harter Konkurrenz mit anderen Gruppen, etwa Studenten, die sich ebenfalls um kleine Wohnungen bewerben“, so der Sozpädal-Geschäftsführer. „Wenn vor einer Wohnung 50 Menschen stehen, wird der wohnungslose Harz IV-Empfänger keine Chance haben. Zudem sind die Mieten meist 100 bis 150 Euro zu teuer für ihn.“
Sozpädal hilft, indem der Verein selbst Wohnungen anmietet und sie dann an wohnungslose Menschen weitervermietet. Dadurch sind die Mietzahlungen gesichert und der Vermieter hat einen Ansprechpartner, wenn es Probleme gibt. Sozialarbeiter besuchen die Klienten regelmäßig, um ihre Lebenslage zu stabilisieren. „Wir begleiten zum Amt, bei Schriftverkehr und Anträgen. In der Regel leben die Klienten von Transferleistungen oder haben ein geringes Einkommen. Auch bei Arztbesuchen, Suchtproblemen oder Messie-Tendenzen sind wir eingebunden“, sagt Sozpädal-Bereichsleiterin Sarah Bruder. Manche Klienten hätten langfristigen Unterstützungsbedarf, grundsätzlich sei das Ziel aber, sie wieder in ein selbstständiges Mietverhältnis zu bringen.
Allerdings wird es auch für den Träger zunehmend schwieriger, geeigneten Wohnraum zu finden. „Der Wohnungsmarkt ist zu einem Finanzplatz geworden. Wenn es nur noch um Renditen und Kapitalerträge geht, sind Menschen mit dem Verlust von Wohnungen bedroht. Aber Wohnraum ist keine Ware, sondern ein Menschenrecht!“, findet Sozialarbeiterin Bruder. Die Städte hätten Fehler gemacht und in Jahren, als sie keinen Bedarf gesehen haben, Bestand verkauft. Das räche sich nun.
Sarah Bruder und ihre Kollegen unterstützen im Auftrag der Stadt derzeit 350 Menschen. Albert Müller ist einer von ihnen. Durch einschneidende Lebensereignisse wurde er schon zweimal obdachlos. „Zuletzt habe ich meine Wohnung aufgegeben, als ich zu meiner damaligen Lebenspartnerin gezogen bin. Die Beziehung ging sechs Jahre lang gut, dann bin ich wegen zu vieler Streitereien ausgezogen.“ Danach kam er bei Freunden unter, scheiterte an zahlreichen Versuchen, wieder etwas eigenes zu finden. „Es ist eine Katastrophe, Sozialwohnungen gibt es kaum, noch dazu hatte ich Schulden und kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in meinem Job als Krankenpfleger arbeiten.“
Nach dem schmerzhaften Erlebnis im Wohnheim kam der 63-jährige Albert Müller vor fünf Jahren zum Verein Sozpädal. „Mein Betreuer hat mir Möglichkeiten aufgezeigt, die Schulden abzubezahlen, heute bin ich sie los. Ich lebe in einer Wohnung in der Oststadt und teile mir Küche und Bad mit einem Mitbewohner. Wir haben uns zusammengerauft – aber natürlich würde ich lieber allein wohnen.“ Deshalb ist Müller Mitglied im Mieter- und Bauverein. „Ich musste 600 Euro einzahlen, um aufgenommen zu werden. Einmal im Monat werden Wohnungen verlost, nach zwei Jahren kommt man in die Trommel. Die Lose vermehren sich mit der Zeit, aber es kann lange dauern, bis man Glück hat.“
Dieses Verfahren sei zwar fair, sagt Jörg Mauter, löse aber nicht den großen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. „Wir brauchen einen offenen Wohnungsmarkt, zu dem auch Obdachlose Zugang haben. Das geht nur über Regulation, es muss viel mehr sozial gebaut werden. Es reicht nicht aus, den Investoren Bau-Anreize zu schaffen, denn sie werden immer profitorientiert handeln.“